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  • Dr. Volker Hilberg (li.) und Dr. Ralf Bleile

Neue Monographie zum Untergang von Haithabu

Das zweibändige Werk „Haithabu 983–1066. Der Untergang eines dänischen Handelszentrums in der späten Wikingerzeit“ von Dr. Volker Hilberg thematisiert die Ergebnisse eines großen von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojektes, in dem erstmals das Ende Haithabus und die Phase seiner „Ablösung“ durch die Stadt Schleswig archäologisch unter die Lupe genommen worden ist.

Dr. Volker Hilberg
„Die Schatten des Abends senken sich auf die Stadt [gemeint ist Haithabu]. Aber die Geschichte ihres Untergangs kann nicht geschrieben werden. Seitdem Harald [Blauzahn, im Jahr 983] sie zurückgewonnen hatte, versiegen die Quellen fast ganz.“ Als der Kieler Historiker Otto Scheel diese Einschätzung zum Ende Haithabus im Jahr 1938 formulierte, stützte er sich ausdrücklich nicht nur auf die historischen Belege, sondern auch auf die Ergebnisse von annähernd 25 Grabungskampagnen in dem Siedlungsplatz am Haddebyer Noor.

Es kommt in der Archäologie nur selten vor, dass eine ganze Siedlungsphase auch nach annähernd 100 Jahren intensiver archäologischer Feld- und Auswertungsarbeiten nahezu unbekannt geblieben ist. Dies trifft für Haithabu und seine Spätzeit zwischen ca. 983 und 1066 nach Christus zu.

Eine besondere Situation ergibt sich hier zudem dadurch, dass Haithabu als urbaner Platz bereits im Mittelalter wüst gefallen und nicht weiter bewohnt worden ist. Anders als etwa in modernen Städten wie Hamburg, London, Dublin, York, Roskilde, Lund oder auch im kleinen und beschaulichen Ribe, kann in Haithabu systematisch geforscht und prospektiert werden.

Das 25,5 ha große Areal innerhalb des mächtigen, rund 1,3 km langen Halbkreiswalles ist seitdem nahezu unbebaut. Das gesamte umgebende Siedlungsareal von ca. 70 ha weist ähnliche Möglichkeiten trotz einer lockeren ländlichen Bebauungsstruktur auf. Die dichte Verbreitung archäologischer Baubefunde innerhalb des Walles aufgrund geophysikalischer Prospektionen und der riesige Fundanfall durch den gezielten Einsatz von Metalldetektoren haben das Bild und damit unser Verständnis von Haithabu gerade in seiner Spätzeit seit dem Jahr 2002, in dem wir anfingen das gesamte Siedlungsgelände mit modernen Verfahren zu prospektieren, dramatisch und entscheidend verändert.

HIER bekommen Sie einen Blick hinter die Kulissen des großen Forschungsprojektes

Jahrzehntelang war die archäologische und historische Forschung der Meinung, dass Haithabu um ca. 980/990 seine bislang internationale Bedeutung als Handelshafen und als Produktionsstandort verloren habe und sich somit dieselben Entwicklungen wie an anderen skandinavischen Plätzen, wie etwa in Birka im Mälarsee bei Stockholm, ablesen ließen. Die dänischen Könige seit Harald Blauzahn (ca. 958–987) hätten mit Lund und Roskilde hingegen neue städtische und christliche urbane Zentren im Osten ihres Herrschaftsbereiches bevorzugt. Diese neuen städtischen Zentren wurden in lateinischen Quellen als civitates bezeichnet.

In Haithabu sei seit dem späten 10.Jahrhundert ein Funktionswandel sichtbar. Dieser hatte aus dem einst blühenden Handelszentrum am Danewerk ein Zentrum königlicher Macht gemacht. Jüngste Siedlungsstrukturen seien vor Ort noch bis zum Jahr 1020 greifbar. Bereits seit den 980er Jahren sei die eigene Münzprägung eingestellt worden. Für das 11. Jahrhundert sei ein deutlicher Mangel an Kleinfunden, etwa Schmucksachen, Waffen- und Reitzubehör, und Münzen sichtbar. Zudem hatte die Entwicklung im Schiffbau, hin zu immer tiefgängigeren Schiffen, und eine weitere Verlandung des Haddebyer Noores schließlich zu einer Verlagerung des Hafens geführt. Es entstand am Nordufer der Schlei die mittelalterliche civitas Schleswig – als Stadt des Königs und des Bischofs. Allerdings ließ sich die Frühphase Schleswigs ebenfalls nur schwer greifen und datieren. Für einen ernsthaften Siedlungsbeginn nördlich der Schlei seit dem Jahr 948, der Einrichtung eines ersten Bistums durch den ostfränkisch-deutschen König Otto I., fehlten die archäologischen Belege und auch schriftliche Quellen sind sehr selten.

Während die Baubefunde vor allem des karolingischen 9. Jahrhunderts in Haithabu hervorragend in Holz erhalten sind und die Auswertung der Hafengrabung Kurt Schietzels einen wahren Bauboom in den 880er und 890er Jahren erbrachten, sind die jüngsten Siedlungsstrukturen und auch die jüngsten Bestattungen auf den einzelnen Friedhofsarealen nur schlecht erhalten.

Durch die neuen Geländeaktivitäten seit dem Jahr 2002 konnte die große Bedeutung des ehemaligen Pflughorizontes für Haithabus Endphase herausgearbeitet werden. Erstmals wurde es nun möglich ganze Serien an Kleinfunden wie Schmuck, Reitzubehör oder Waffenteilen und an Münzen und normierten Gewichten der damaligen Silberwirtschaft zu erfassen und auszuwerten. Dabei wurde rasch deutlich: Haithabu musste bis zu den historisch belegten Zerstörungen von ca. 1050 und 1066 ein lebendiges Handels- und Handwerkszentrum geblieben sein, das auch im 11. Jahrhundert der zentrale Umschlagsplatz zwischen Dänemark und dem Kontinent und zwischen Nord- und Ostsee gewesen ist.

Der Frankfurter Historiker Johannes Fried beschreibt den Übergang von Alt-Schleswig, Haithabu, nach Neu-Schleswig, Schleswig, und die Durchsetzung des kirchenrechtlich erfassten lateinischen Namens. Für die Skandinavier blieb Neu-Schleswig bis weit ins späte Mittelalter hinein hingegen Haithabyr oder Heidabœr. Die Stadt änderte somit nicht ihren Namen.

Durch die hohe Anzahl an Metallfunden und Münzen des späten 10. und 11. Jahrhunderts werden lebendige wirtschaftliche Beziehungen bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts vor allem mit den Nachbarn im Süden fassbar: mit dem Reich der ottonischen und salischen Könige und Kaiser. Hier war vor allem der Bezug von metallischen Rohstoffen in der Form von Silber, Blei, Kupfer- und Messinglegierungen von weitreichender Bedeutung, da diese Ressourcen in Skandinavien nicht vorhanden waren oder zu dieser Zeit dort nicht genutzt werden konnten.

Die Untersuchungen von Stephen Merkel zeigen eindrücklich, dass bis zu den nächsten Lagerstätten im Harz oder im Rheinischen Schiefergebirge keine großen Distanzen überwunden werden mussten. Mit dem Zusammenbruch der Handelsnetzwerke im östlichen Europa und in Zentralasien wurden diese nahe gelegenen Bezugsregionen seit den 970er Jahren auch für den unweit der Grenze gelegenen Handelsort Haithabu immer wichtiger. Die Handels- und Handwerksbeziehungen Haithabus reichen auch in seiner Endphase bis ins östliche Ostseegebiet.

Völlig neu ist mittlerweile die deutliche Verbindung anhand des Kleinfundmaterials nach England. Hier kommt zum Ausdruck, dass zwischen 1012 und 1042 die dänischen Könige auch das reiche England beherrschten. Als christliche Könige regierten sie nun in weiten Teilen um die Nordsee. Vor allem in den östlichen und nördlichen Gebieten Englands, dem Danelaw, in denen dänisches Recht galt, lebte dort bereits vielerorts eine dänische Bevölkerung, die durch neu hinzuziehende Personen und Amtsträger des Königs ergänzt wurden. Wie einschneidend sich der Verlust der Herrschaft über England nach 1042 und die daraus resultierenden Thronstreitigkeiten mit Norwegen darstellte, zeigen auch die Funde aus Haithabu. Für die mittleren Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts ist ein deutlicher Einbruch zu verzeichnen, der sich vor allem bei den Fundmünzen abzeichnet. Die politische und damit auch die wirtschaftliche Blütezeit des 11. Jahrhunderts erlebte einen deutlichen Niedergang.

Allerdings kann weiter davon ausgegangen werden, dass Haithabu bis zu seiner Verlagerung in den 1060er Jahren eine Funktion als wichtiger Handelshafen ausübte. Die jüngsten Fundmünzen reichen bis in die diese Zeit. Nach 1066 kam es zu einer absichtlichen Verlagerung durch den damaligen dänischen König Sven Estridsen (1047–1076), um auf dem Nordufer der Schlei eine zeitgemäße und moderne civitas zu errichten, die den Repräsentations-)Bedürfnissen von König und Bischof entsprach. Dass sie zudem noch nicht einmal halb so groß war wie der alte Handelsplatz der Wikingerzeit und leichter zu verteidigen gewesen sein dürfte, sind weitere wichtige Aspekte dieser Verlagerung.

Durch die neuen Geländeforschungen und Detektorbegehungen in Haithabu ist es zudem gelungen, altbekannte Funde – wie das im Jahr 1023 gebaute Handelsschiff Haithabu Wrack 3, der bislang größte Lastensegler der Wikingerzeit überhaupt oder die im spätwikingerzeitlichen Ringerikestil gearbeitete Drachennadel aus dem Hafen – in einen neuen Zusammenhang zu setzen und ihre Bedeutung zu betonen.

Volker Hilberg, "Haithabu 983–1066. Der Untergang eines dänischen Handelszentrums in der späten Wikingerzeit." 
Mit Beiträgen von Johannes Fried, Bernard Gratuze, Stephen Merkel und Inès Pactat. Die Ausgrabungen in Haithabu Band 19 (München 2022). 2 Bände, 718 Seiten, 28 Tafeln, 220 Farb- und 54 Schwarzweißabbildungen, 47 Tabellen. ISBN: 978-3-89937-282-3. Preis: 148.00 €.

 

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