Auf den Spuren versunkener Siedlungen im Wattenmeer
Anfang 2020 wurde einem DFG-Antrag zur Unterstützung eines interdisziplinären Forschungsprojektes stattgegeben, innerhalb dessen große Teile der Kulturlandschaft des Nordfriesischen Wattenmeers erfasst, vermessen und dokumentiert werden sollen. Projektpartner sind Mitarbeiter*innen der Universitäten Mainz und Kiel, des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein und - mit Prof. Dr. Dr. h.c. Claus von Carnap-Bornheim und Dr. Ruth Blankenfeldt - des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie.
Die heutige Insel Pellworm, die Halbinsel Nordstrand und die Hallig Nordstrandischmoor bildeten im 14. Jahrhundert eine zusammenhängende Landfläche, auf der salzgesättigte Torfe abgebaut wurden. Die „Grote Mandränke“ 1362 leitet den Untergang des mittelalterlichen Handelsplatzes Rungholt ein, der es mit dem Salzhandel zu Reichtum gebracht hatte und in voller Blüte stand, als das Wasser kam und mehrere Tausend Menschen und unzählige Tiere mit in den Tod riss.
„An einem einzigen Tag im Watt habe ich einmal vier Schädel von vermutlich während der großen Mandränke ertrunkenen Pferden gefunden“, sagt Dr. Ruth Blankenfeldt mit Blick auf die Dimension der Katastrophe: „Das Leben an der See prägt Schleswig-Holstein. Es gab immer wieder Rückschläge und trotzdem siedelten Menschen weiter am Meer, indem sie Techniken entwickelten, um dort leben zu können.“
Das Besondere an Rungholt: „Wir können den Untergang an einem Datum konkret festmachen. Das heißt, dass wir genau wissen, wo wir in der Geschichte stehen.“ In dem Projekt geht es dann um die Fragen zur Entwicklung der heutigen Küstenlandschaft und die Suche nach ehemaligen Siedlungslandschaften und Aussagen zu deren Ausdehnung und Nutzung. Beispiel: Bei den Untersuchungen konnten so bereits versunkene Siedlungsbereiche, Torfabbaugebiete aber auch ein frühneuzeitlicher Deich abgebildete werden.
Trotz aller Faszination, die der Untergang von Rungholt auch heute noch ausübt, hat das im Weltnaturerbe Wattenmeer gelegene nordfriesische Watt ein archäologisch weitaus größeres Potenzial, ist Dr. Ruth Blankenfeldt überzeugt. Vom steinzeitlichen Gerät über Schiffsreste unterschiedlicher Zeitstellung bis zu neuzeitlich untergegangenen Siedlungs- und Wirtschaftsgebieten ergibt sich hier ein vielfältiges Kaleidoskop menschlicher Hinterlassenschaften für das gemeinsame Forschungsvorhaben.
Und das immer vor dem Hintergrund der schwierigen, aber spannenden Arbeitsbedingungen im Watt, die nicht nur aufgrund der Gezeiten eine Herausforderung sind: „Es ist nicht mit Grabungen an Land zu vergleichen. Wenn ich im Schlick grabe, bricht sofort das Wasser ein und die Stelle läuft zu.“ Andererseits: Ein durch das Rungholt-Gebiet laufender Priel spült jeden Tag neue Kulturspuren frei und bringt Funde an die Oberfläche, wie Keramik und Knochen aber auch Metallfunde wie zum Beispiel zwei Pilgerzeichen aus Aachen.