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„Zwischen Wikingern und Hanse“ - großes Forschungsprojekt abgeschlossen

Dr. Ralf Bleile, Direktor des Museums für Archäologie Schloss Gottorf, gewährt uns einen ganz persönlichen Blick hinter die Kulissen wissenschaftlicher Arbeit - und das außergewöhnliche Forschungsprojekt „Zwischen Wikingern und Hanse. Kontinuität und Wandel des zentralen Umschlagplatzes Haithabu/Schleswig im 11. Jahrhundert“:

Dr. Ralf Bleile
Im Jahr 2009 nahm eine Reise ihren Anfang, die mit der Auslieferung des letzten wissenschaftlichen Werkes im Februar 2023 endgültig als abgeschlossen betrachtet werden darf. Die renommierte VolkswagenStiftung hatte damals zum zweiten Mal eine Förderinitiative zu Forschungen in Museen ausgelobt. Bereits die erste Phase war überaus erfolgreich und die geförderten Museen genossen mit ihren universitären Partnern eine außerordentliche Wertschätzung, die mit der Aufnahme in diesen Förderkreis verbunden war. Das wollten wir unbedingt auch!

Gemeinsam mit den Kolleg*innen des ZBSA berieten wir uns und überlegten, welche unserer vielen Forschungsideen am besten zur Förderphilosophie der VolkswagenStiftung passen könnten. Mehrere kamen in Frage und für zwei Projekte bewarben wir uns in einer vorgeschalteten Evaluierungsphase.

Die Freude war groß, als uns die VolkswagenStiftung am 15. November 2010 mitteilte, dass unsere Projektskizze zu Haithabu und Schleswig die erste Hürde genommen hatte und wir nun aufgefordert waren, bis zum 4. Februar 2011 einen Vollantrag einzureichen.

Gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrich Müller vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität entwickelte ich nun den Antrag und die kommenden Wochen waren vor allem durch viele Reisen zu zukünftigen Partnern sehr intensiv. Ein solches Projekt, für das mehr als eine halbe Million Euro zu beantragen war, stemmt man nicht alleine. Auch der Vollantrag bestand die Prüfung und wir – Prof. Ulrich Müller vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU, Dr. Volker Hilberg und ich – durften in Berlin vor einem größeren Gremium der VolkswagenStiftung unseren Antrag verteidigen. So aufgeregt war ich seit meiner Disputation nicht mehr gewesen. Im Gegensatz zur Verteidigung der Dissertation mussten wir allerdings ohne Ergebnis abreisen und uns noch einige Zeit gedulden. Am 8. Juli 2011 kam endlich der erlösende Brief und zum 1. Januar 2012 konnte die Arbeit beginnen!

Welche Arbeit genau startete jetzt? Die Idee der VolkswagenStiftung war es, Forschung an Museumssammlungen durch die Museen selbst zu fördern. Jedoch sollten unbedingt Universitäten eingebunden sein, so dass eine „Junge Akademie auf Zeit“ entsteht. Wir hatten uns mit der Bearbeitung von vier Sammlungen beworben:

  • Befunddokumentation einer Ausgrabung in der Plessenstraße in Schleswig,
  • Fundkomplex aus der Ausgrabung im Hafengang in Schleswig,
  • Detektorfunde aus Haithabu und
  • Befunddokumentation der Grubenhausgrabung in Haithabu.

Übergeordnetes Ziel war es, den Übergang von Haithabu nach Schleswig im 11. Jahrhundert genauer erklären zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, starteten zwei Dissertationsvorhaben sowie eine umfangreiche Studie zum späten Haithabu:

Felix Rösch beschäftigte sich in seiner Dissertation mit den Befunden der Ausgrabung in der Plessenstraße in Schleswig. Dafür war die Digitalisierung aller Befunde eine wichtige Herausforderung, der sich Kerstin Greve als technische Mitarbeiterin stellte. So konnte am Ende ein sehr präzises Bild des Schleswiger Hafens im 11. Jahrhundert gezeichnet werden. Michaela Schimmer bearbeitete in ihrer Dissertation das Fundmaterial aus der Grabung Hafengang 11 in Schleswig und Dr. Volker Hilberg wertete die Detektorfunde sowie die Befunde der Grubenhausgrabung in Haithabu aus.

Neben den archäologischen Studien waren chemische Analysen an Glasscherben aus Haithabu sowie Element- und Blei-Isotopenanalysen von Messing und anderen Kupferlegierungen aus Haithabu und Schleswig Gegenstand des Projektes. Diese Analysen wurden an der Universität bzw. im Deutschen Bergbau-Museum Bochum (Prof. Dr. Thomas Stöllner, Prof. Dr. Andreas Hauptmann, Dr. Stephen Merkel), an der Universität Göttingen (Prof. Dr. Karl Hans Wedepohl (†), Dr. Andreas Kronz) und am IRAMAT Centre Ernest Babelon CNRS, Orléans (Dr. Bernard Gratuze, Dr. Inés Pactat) durchgeführt. Die Ergebnisse sind als Beiträge in dem zweibändigen Werk zum späten Haithabu von Dr. Volker Hilberg enthalten.

Um gegebenenfalls Untersuchungen an vergleichbarem Fundmaterial durchführen zu können, haben wir Kooperationen mit mehreren Institutionen in Deutschland geschlossen, für deren Beratung und Unterstützung wir sehr dankbar sind:

  • Schwedenspeicher-Museum Stade (Dr. Sebastian Möllers M.A.)
  • Stadtarchäologie Stade (Dr. Andreas Schäfer)
  • Römisch-Germanisches Museum und Städtisches Museum Köln (Prof. Dr. Marcus Trier, Dr. Thomas Höltken)
  • Stadtarchäologie und Burghofmuseum Soest (Dr. Walter Melzer)
  • Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern (Dr. Detlef Jantzen)
  • Museum in der Kaiserpfalz Paderborn (Dr. Martin Kroker)
  • Universität Bamberg (Prof. Dr. Ingolf Ericsson)
  • Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Braunschweig (Dr. Michael Geschwinde)
  • Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Lüneburg (Dr. Jan Joost Assendorp).

Monographie: „Haithabu 983–1066. Der Untergang eines dänischen Handelszentrums in der späten Wikingerzeit“ 

Schon im Jahr 2014 war die Projektlaufzeit eigentlich beendet und ein internationaler Workshop mit dem Titel „Between the Vikings and the Hanseatic League. Continuity and change of the major transfer site Hedeby/Schleswig during the 11th century AD“ galt zunächst als Abschluss. Insgsamt 47 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus neun Ländern nahmen an dieser Veranstaltung teil und ordneten die Ergebnisse in einen nordeuropäischen Forschungskontext ein. Damals gewannen wir Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Fried für einen öffentlichen Abendvortrag, der nun ebenfalls als Beitrag seinen Niederschlag in Dr. Volker Hilbergs großem Werk gefunden hat.

Zu den wichtigsten Ergebnissen dieser großen Materialstudie gehört zweifellos der Nachweis, dass Haithabu bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts hinein ein Handelsplatz von überregionaler Bedeutung gewesen war. Von einem allmählichen Niedergang kann insbesondere auf der Grundlage der durch die Detektorbegehungen geborgenen Münzen und Wägegewichte keine Rede mehr sein.

Auf der anderen Seite der Schlei hatte Felix Rösch in seiner Dissertation nachweisen können, dass die Entwicklung des Schleswiger Hafens erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts begann. Ganz ausschließen können wir Aktivitäten in der ersten Jahrhunderthälfte im heutigen Bereich der Schleswiger Altstadt nicht, doch hat der Hafen erst nach der endgültigen Zerstörung Haithabus im Gebiet der heutigen Plessenstraße seinen Anfang genommen.

Die Studien zum Fundmaterial aus der Hafengang-Grabung führten vor Augen, dass es im Fundspektrum zwischen Haithabu und Schleswig keinen signifikanten Bruch gab. Vielmehr war Schleswig als Nachfolger Haithabus offensichtlich in dieselben Handelsnetze einbezogen und funktionierte ebenfalls als zentraler Knotenpunkt zwischen Nord- und Osteuropa.

Die Schreibarbeit an monographischen Abschlusswerken nimmt regelmäßig mehr Zeit in Anspruch, als solche Forschungsprojekte im Rahmen ihrer Förderzeiträume abbilden können. Die VolkswagenStiftung ließ uns aber nicht im Stich und legte sogar noch etwas drauf, so dass beide Dissertationsvorhaben zu lobenswerten Abschlüssen gebracht werden konnten. Sie sind inzwischen publiziert und zieren nicht nur die Regale unserer Bibliothek.

Dr. Volker Hilberg musste seine Studie nach 2014 neben dem täglichen Geschäft zu Ende führen. Aber auch dies ist gelungen und dank der großzügigen Unterstützung der VolkswagenStiftung und des Fördervereins Archäologie Schloss Gottorf e.V. konnten wir im Februar 2023 nun auch diese Bücher in Händen halten.

Vieles gäbe es zu diesem Projekt zu berichten, denn lang ist die Liste an Vorträgen, Teilnahmen an internationalen Tagungen, veröffentlichten Aufsätzen und an den nun vorhandenen digitalen Daten. Doch ich möchte abschließend nur eines hervorheben: die außergewöhnliche Zusammenarbeit mit der VolkswagenStiftung! Im Jahr 2012 hatten wir den ehemaligen Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wilhelm Krull, nach Gottorf eingeladen –  und er kam. Regelmäßig waren wir nach Hannover eingeladen worden, um unsere Ergebnisse vorzustellen. Im Wissenschaftsmagazin der VolkswagenStiftung „Impulse“ (Heft 1/2016) war uns sogar das Schwerpunktthema gewidmet.

Dies alles ist keinesfalls die Regel, wenn Forschungsprojekte durch Förderinstitutionen finanziell unterstützt werden. Unser Eindruck war, dass die VolkswagenStiftung es mit dem Anliegen ihrer Förderinitiative „Forschung in Museen“ sehr ernst meinte. Und dass wir es mit der VolkswagenStiftung sehr ernst meinten, mag letztlich den Grundstein für diese aus unserer Sicht außergewöhnliche, erfolgreiche und glückliche Zusammenarbeit gelegt haben.

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